Es fehlen Arbeitskräfte an allen Ecken und Enden. Wie reagiert die Solothurner Wirtschaft?

Es fehlen Arbeitskräfte an allen Ecken und Enden. Doch nicht genug der Herausfor-derung: Die Arbeitswelt verändert sich zusehends und die junge Generation fordert neue Arbeitsmodelle. Wie reagiert die Solothurner Wirtschaft darauf?

Die Arbeitslosenzahlen liegen derzeit auf einem historischen Tief. Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO meldete im Oktober deutliche Zahlen: Die Arbeitslosenquote fiel im September erstmals seit 20 Jahren unter die 2-Prozent-Schwelle. Spannend ist zudem die Tendenz, dass die Arbeitslosenquote bei Arbeitnehmenden im Alter von über 50 Jahren um 0,1 Prozentpunkte auf 1,9% gestiegen ist. Die Arbeitslosigkeit bei 45-bis 60-jährigen ist gesamtschweizerisch am tiefsten und bei den 20- bis 35-jährigen am höchsten.

Doch die gute Arbeitsmarktlage hat Schattenseiten: Der Arbeitskräftemangel nimmt stetig zu. Für Unternehmen wird es immer schwieriger, ihre freien Stellen mit geeigneten Arbeitskräften zu besetzen. Und das Zukunftsszenario ist bekanntlich auch nicht berau-schend: In den nächsten zehn Jahren werden insgesamt rund 1,1 Millionen Personen ins Rentenalter kommen, lauten die Berechnungen in einer Studie der Credit Suisse. Der Nachwuchs fehle, um die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer zu ersetzen. Es werden also mehr Erwerbstätige in den Ruhestand gehen, als junge Erwachsene auf den Arbeitsmarkt kommen. Ein Delta, das in den kommenden Jahren mit Sicherheit nicht kleiner wird. Klar, künftig werden einige Branchen und Bereiche der Arbeitswelt mit weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auskommen – Automatisierung und Digitali- sierung sei Dank.

Dennoch, der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft wird wesentlich bleiben. Nicht zuletzt, weil viele Unternehmen expandieren. «Aufgrund unseres Wachs-tums sind wir stetig auf der Suche nach qualifizierten Mitarbeitenden, welche unsere Visionen und Strategien teilen und mittragen», sagt Christa Ruch, verantwortlich für Human Resources & Culture bei der Kehrer Stebler AG und der Stebler Glashaus AG (s: stebler) in Oensingen. Die Suche sei – besonders bei handwerklichen Berufen im Bereich Produktion – sehr anspruchsvoll geworden, hält die Fachfrau weiter fest. «Teilweise sogar eine richtige Challenge.» Doch das Unternehmen bleibt nicht untätig, sondern bringt durch attraktive Arbeitsbedingungen, interne sowie externe Weiterbildungen und persönliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten die Mitarbeitenden weiter. «Mit diesen Massnahmen wirken wir dem Fachkräftemangel entgegen», betont Christa Ruch.

«Wir wollen
Menschen
begeistern und
sie binden.»

Und da der Arbeitskräftemangel kein kurzfristiges Phänomen ist, wetteifern Unter-nehmen um Mitarbeitende. Denn längst können sich Arbeitnehmende ihre Stelle aus-suchen. Also feilen Unternehmen an ihrem Image – sei es nach innen oder nach aussen. Employer Branding heisst das Zauberwort der Stunde und ist in grossen Firmen längst kein Fremdwort mehr. Doch was braucht es dazu? «Die Geschäftsleitung von
s: stebler hat sich zum Ziel gesetzt, als Arbeitgebermarke authentisch, differenziert und attraktiv zu sein. «Wir wollen Menschen begeistern und sie binden.» HR-Fachfrau Christa Ruch ist überzeugt, nur mit «ehrlichen Massnahmen die besten Fachkräfte» zu gewinnen, auszubilden und diese auch halten zu können. «Dabei ist uns wichtig, dass wir den Arbeit-nehmenden von morgen den Anspruch, sich mit der Arbeit zu identifizieren, abdecken: Mit dem, was sie tun und mit dem, was wir als Unternehmen tun.»

Denn so viel ist klar: Den Vorzug von Stellensuchenden erhalten Unternehmen, denen es gelingt, glaubwürdig zu kommunizieren, warum jemand bei ihnen arbeiten sollte. Deshalb entdecken in diesem Prozess immer mehr Unternehmen das Employer Branding. Die s: stebler setzt auf innovative Zukunftsthemen, zielgruppenspezifische Wissensvermittlung sowie vielseitige Job- und Entwicklungs- oder Ausbildungsmöglichkeiten mit attraktiven Arbeitsbedingungen. HR-Fachfrau Christa Ruch betont, dass auch der Firmenstandort, wirtschaftliche Stabilität und einzigartige Produkte dazu beitragen würden, als Arbeitgeber attraktiv zu sein. «Nebst all dem ist für mich persönlich aber immer noch der Mensch im Fokus. Die vier M’s (‹Man muss Menschen mögen›) wurden durch Adolf Ogi geprägt und gehören wie ein Mantra in meinen Berufsalltag.» Ruch ist überzeugt, «dass in unserer technologisierten Welt immer noch der Mensch im Zentrum stehen muss: mit all seinen starken und verletzlichen Seiten». Sie präzisiert: Das Individuum dürfe trotz Neuerungen und Gewinnoptimierungen nicht vergessen gehen. Ein ausgewogener Mix zwischen Führen, Fordern, Fördern und genügend Fingerspitzengefühl soll eine lang-fristige Bindung zwischen Mensch und Unternehmen bewirken.

«Aber die
Vorstellungen
haben sich
geändert.»

Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu erkennen und das Arbeitsumfeld entsprechend zu optimieren, ist auch das Credo von Giancarlo Grifone, Vorsitzender der Bankleitung Raiffeisenbank Dünnerntal-Guldental. «‹Make› statt ‹buy› ist salopp gesagt unsere Devise: Talentierten und ambitionierten Verkaufsleuten aus anderen Branchen ermöglichen wir den Quereinstieg in die Bankenwelt. Wir bilden die neuen Mitarbeitenden am Arbeitsplatz aus», sagt Giancarlo Grifone. Weiter beteiligt sich die Raiffeisenbank an den Kosten
von fachbezogenen externen Weiterbildungen. «Unsere zeitgemässe Infrastruktur trägt zum positiven Arbeitsumfeld bei», hält er fest.

Dazu gehören kundenfreundliche Beratungszimmer, geräumige Büros und die persönliche IT-Ausrüstung. Innovativ: Denn gerade letztere Aufzählung ermöglicht den Mitarbeitenden, die Aufgaben teils von zu Hause oder von anderen Geschäftsstellen aus zu erledigen. «Vor Corona war Homeoffice bei uns noch kein Thema. Das hat sich geändert und wir machen damit durchwegs positive Erfahrungen.» Die Kundenberatung von sieben bis sieben erfordert ein flexibles Arbeitszeitmodell und das Beratungspersonal kann die Einsätze im Rahmen der Gleitzeit frei organisieren. Das gibt individuellen Raum für die Freizeitgestaltung. Giancarlo Grifone betont: «Teilzeitstellen sind bei uns schon lange ‹in› und wir beschäftigen vor allem Wiedereinsteigerinnen auf diese Weise (Wiedereinsteiger sind im Moment noch rar).»

Die Nachfrage nach Teilzeitstellen habe aber zugenommen, sagt der Raiffeisen-Banker. «Interessanterweise haben sich die Gründe dafür verändert. Früher wünschten Mitarbeitende Teilzeitarbeit vermehrt aus Notwendigkeit: Verbesserung der Ein-kommenssituation der Familie, Absolvierung von zeitintensiven Weiterbildungs-lehrgängen. Heute hingegen beeinflusst vor allem deren Freizeit den Beschäftigungs-grad.»

«Die Nachfrage
nach Teilzeitstellen
hat zugenommen.»

Ein Umdenken hat in vielen Branchen bereits stattgefunden, denn die jungen Mitar-beitenden fokussieren auf neue Arbeitsmodelle: Auch Silvan Lisser, Inhaber und Geschäftsführer der FT Fenstertechnik, Küchen- und Holzbau AG in Oensingen, be-schäftigt heute Teilzeitangestellte. Dass die junge Generation schwieriger im Berufsalltag zu integrieren sei, als noch vor 10 Jahren, glaubt er nicht. «Aber die Vorstellungen haben sich geändert. Eine Work-Life-Balance steht bei den Jungen aktuell sehr im Vorder-grund», betont Silvan Lisser.

Auch einem sogenannten «Papitag» verschliesst sich die FT Fenstertechnik nicht. Genauso wenig wie gegenüber Handwerkern mit einem 80 Prozent-Pensum: «Grundsätzlich ist das möglich bei uns. Aktuell arbeiten rund 15 Prozent der Mitarbeitenden Teilzeit. Die Abläufe sind für uns als Arbeitgeber zwar schwieriger zu organisieren und stellen uns vor neue Herausforderungen.» Lisser hat diese neuen Arbeitsmodelle im Unternehmen erfolgreich integriert. Schliesslich will er als Arbeitgeber attraktiv sein. Das sei ein ständiger Prozess. Die FT Fenstertechnik würde Team-Events veranstalten, auf eine gute Kommunikation achten, gesicherte Arbeitsplätze anbieten, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten ermöglichen und, wie erwähnt, angepasste Arbeitszeiten integrieren.

Auch die Wittwer Metallbau AG in Adligenswil hat sich auf neues Terrain gewagt und neue Arbeitsmodelle umgesetzt. «Wir wollen unseren Mitarbeitenden Arbeitsmodelle anbieten, die zu ihrem Leben passen», sagt Nicole Wittwer von der Wittwer Metallbau AG. Die Geschäftsfrau ist sich aber bewusst, dass es eine grosse Herausforderung ist, neue Arbeitsmodelle wie verkürzte Arbeitszeiten einzuführen und gleichzeitig die Kunden vollumfänglich zufriedenzustellen. «Uns ist aber beides sehr wichtig», betont Nicole Wittwer und spricht ein wichtiges Thema an: «Solange die Wirtschaftslage gut und die geopolitische Lage stabil ist, solange ist auch die Umsetzung neuer Modelle wie eine 4-Tage-Woche durchaus denk- und machbar.»

Ganz anders in der aktuellen Situation: Lieferengpässe und Energiepreiserhöhungen dominieren den Arbeitsalltag und strapazieren die Geschäftsbeziehung ohnehin schon bis ans Limit. «Daher fokussieren wir uns momentan auf ein gutes Arbeitsverhältnis mit unseren Mitarbeitenden, kommuni-zieren klar und ehrlich. Zudem versuchen wir auf die individuellen Bedürfnisse aller einzugehen.» Nicole Wittwer ist überzeugt, dass sich neue Arbeitsmodelle auch in ihrer Branche etablieren werden. «Nur braucht es viel Fingerspitzengefühl und eine stabile Wirtschaft. Denn die organisatorische Komponente, eine Baustelle mit Teilzeitmitar-beitenden zu organisieren, ist nicht ohne.»

Dass heute Mitarbeitende auf Social Media gesucht werden, ist bekannt. Doch welche Plattformen gewählt werden, ist sehr individuell. «Im Rahmen unseres Employer Branding starten wir mit Besuchen an Hochschulen, Berufsmessen und einer starken Vernetzung mit Institutionen und Erwachsenenbildungszentren. Im Weiteren inserieren wir auf Plattformen wie soTechnetwork.ch, jobs.ch, unserer Internetseite oder engagieren zur Unterstützung Headhunter und Stellenvermittler», erklärt HR-Fachfrau Christa Ruch.

Unternehmer Silvan Lisser sucht seine Mitarbeitenden auf jobs.ch, im regionalen Anzeiger und auf Social Media. Den Arbeitgebenden ist allgemein wichtig, dass sie mehr denn je auf eine offene und transparente Kommunikation mit ihren Mitarbeitenden setzen. Denn wer eine gute Bindung innerhalb des Unternehmens aufbaut, muss auch weniger Fluktuation fürchten. <

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nen. Wie alle Berufe in der Schweiz werden auch die
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www.kfmv.ch