Lieferengpässe, Preiserhöhungen, drohende Energieknappheit und Fachkräftemangel: Die Solothurner Wirtschaft ist gefordert. Eine Umfrage zeigt, wie die Verantwortlichen die Krise meistern und welche Megatrends derzeit im Brennpunkt stehen.
«Die aktuelle Situation verdeutlicht den Handlungsdruck auf Politik und Gesell- schaft, unabhängiger zu werden von fossilen Energieträgern und die Erschliessung neuer Energien mit Nachdruck anzugehen», fasst Ute Lepple zusammen. Die Direktorin der Scintilla AG und administrative Leiterin Bosch Power Tools Accessories betont, dass Scintilla trotz des herausfordernden wirtschaftlichen Umfelds ihre Anstrengungen für den Klimaschutz konsequent fortsetzt. «Aus den Bestrebungen vieler Länder hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft sehen wir künftig wichtige Wachstumsimpulse», sagt sie. «Seit Frühjahr 2020 sind unsere 400 Standorte – dazu gehört auch die Scintilla AG in Zuchwil und unsere Produktion in St. Niklaus – weltweit klimaneutral. Das Unter- nehmen hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 die CO₂-Emissionen entlang der Lieferkette um 15% zu senken – vom Einkauf bis zur Produktnutzung.» Lokal statt global: Könnte dieser Wechsel möglicherweise die Krise vermindern? Für Ute Lepple nicht. «Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass es eine gute Basis für die globale Zusammenarbeit gibt», sagt sie. «Auch Bosch als global agierendes Unternehmen beweist jeden Tag, dass die Kooperation zwischen Menschen ver- schiedener Kulturen und Weltbildern sehr gut funktionieren kann.» Für Georges Kern, CEO der Breitling SA in Grenchen, ist «der lokale Anker eine ganz wichtige Voraussetzung für die Zukunft.» Er geht davon aus, dass die Globalisierung, wie sie sich in den letzten dreissig Jahren entwickelt hat, zurückgehen wird, hin zu vermehrt lokalen Produkten und zu weniger Abhängigkeiten. «Wir sind eine sehr lokale Marke, das heisst, wir produzieren einerseits lokal und haben lokale Zulieferer, andererseits verkaufen wir an lokale Kundschaft. In der Schweiz an Schweizer, in Frankreich an Franzosen und in den USA an Amerikaner», so Georges Kern. «Das ist einer der Gründe, weshalb wir in den letzten Monaten und Jahren so erfolgreich waren. Die Pandemie hat gezeigt, dass die Luxusgüterindustrie sehr widerstandsfähig ist.» Bei Breitling gehört es grundsätzlich zu den konstanten Management-Aufgaben, auf bestehende und zukünftige Herausforderungen zu reagieren und das Unternehmen entsprechend aufzustellen. «Die Wertvorstellungen und das Konsumentenverhalten haben sich verändert. Nachhaltigkeit und verantwortungsbewusstes Handeln werden für Kunden und den Kaufentscheid immer wichtiger», gibt der CEO zu bedenken. Wie sich all diese Herausforderungen volkswirtschaftlich konkret auswirken werden, lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. «Ich glaube, der grosse Vorteil, den wir im Westen haben, ist, dass unsere Wirtschaft trotz allem sehr stark ist.»
Massnahmen gegen die Krise
Der CEO der Dreherei Ernst Nachbur AG in Holderbank, Daniel Graf, geht nicht davon aus, dass die Probleme alleine mit dem Weg der Regionalisierung gelöst werden können. Für sein Unternehmen hat er bereits einige Vorkehrungen getroffen, um die Herausforderungen zu meistern. Der drohen den Stromknappheit trotzt er mit dem Versuch, weniger Energie für gleiche Leistun-gen einzusetzen. Zudem will Nachbur mit einer Photovoltaikanlage über 20 % der Energie selber herstellen. «Unsere eigene Photovoltaikanlage wird dazu bei- tragen, den Effekt der Stromknappheit etwas zu reduzieren», so Daniel Graf. «Und durch den Ersatz unserer Ölheizung werden wir 90 % weniger fossile Energie benötigen.» Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, hat das Unternehmen letztes Jahr entschieden, die Ausbildung von technischen Berufsleuten als strategisches Ziel beizubehalten. «Dementsprechend haben wir unsere Ausbildung optimiert und personell verstärkt. So bieten wir pro Lehrjahr drei Lehrlingen die Möglichkeit, bei uns eine Ausbildung zu absolvieren.» Von Lieferengpässen ist die Nachbur AG in verschiedener Hinsicht betroffen. «Viele Produkte erfahren teilweise starke Preiserhöhungen und die Beschaffung wird viel anspruchsvoller und benötigt unsererseits mehr Personalressourcen.» Auch Daniel Graf tut sich schwer mit einer Voraussage für die nächsten 12 Monate. «Im Vergleich zur Vergangenheit ist heute eine Prognose wesentlich schwieriger und ungenauer. Aktuell sehen wir von unseren Kunden keine Reduktion von Bedarfsmengen oder geringere Mengen.» Gründe, um etwas optimistischer in die Zukunft zu blicken. «Unsere strategischen Investitionen in Mitarbeitende und Maschinen werden wir weiterhin umsetzen.»
Auch Reto Ziegler, Chef der Gewinde Ziegler AG in Horriwil, sorgt vor. «Wir montieren zurzeit eine Solaranlage und bis Ende Jahr werden wir über ein Not- stromaggregat verfügen. Denn die Energiekosten können nicht auf die Produkte abgewälzt werden.» Dem Fachkräftemangel will er mittels einer internen Ausbil- dung entgegenwirken. Lieferengpässe versucht er zu vermeiden, indem das Un- ternehmen Rohmaterial auf dem Markt zusammenkauft – allerdings «zu hohen Preisen», wie Reto Ziegler festhält. Auch für ihn ist ein aussagekräftiger Blick in die Zukunft kaum möglich: «Als Unternehmen unserer Grössenordnung haben wir nun alle wirtschaftlichen Folgen zu tragen. Ich kann nicht beantworten, was in den nächsten 12 Monaten passiert.»
Blick über den Tellerrand
«Deglobalisierung bedeutet für global agierende Unternehmen nicht, dass wir unsere Produkte nur noch in Europa absetzen werden», sagt Simon Michel, CEO der Ypsomed Holding AG in Burgdorf und Solothurn. Spätestens seit dem Scheitern des Rahmenabkommens sei klar geworden, dass auch KMU den Blick über Europa hinaus wagen müssen. «Die zu hohe Abhängigkeit vom schwachen Euro und die gestörten Wirtschaftsbeziehungen zu Europa werden sich in naher Zukunft nicht verbessern», gibt er zu bedenken. Ypsomed erzielte 2021 64 % des Umsatzes in Europa, 18 % in Asien, und je 9 % in der Schweiz und Nordamerika. «Mit Abstand am stärksten wachsen wir in den USA und in China. Deshalb bauen wir auch unsere Kapazitäten in Mexiko aus und erstellen ein neues Werk im Süden Chinas – ‹China for China› – wir werden also regionaler.» Das diene der Optimierung der CO2Bi lanz: So kann das Unternehmen auf das Verschiffen (oder Fliegen) von Hunderten von Containern pro Jahr rund um die Welt verzichten. «Als nachhaltig und global agierendes Unternehmen tragen wir hier eine Verantwortung.» So habe sich Ypsomed auch zum Ziel gesetzt, die Entwicklungskompetenz an den Schweizer Standorten weiter auszubauen. Aktuell arbeiten über 400 Ingenieure an den Standorten in Solothurn und Burgdorf. «Die kurzen Wege führen zu mehr Effizienz in der Entwicklung und der Industri-alisierung.» Da in der Schweiz zu wenig SoftwareIngenieure verfügbar sind, hat Ypsomed vor gut zwei Jahren mit dem Aufbau eines Software Delivery Centers in Barcelona begonnen. Heute sind dort rund 40 Mitarbeitende aus 20 Nationen tätig. Am meisten Sorgen bereiten dem CEO die hohen Stromkosten. «Bis Ende 2022 haben wir noch bestehende Rahmenverträge. Ab 1. Januar 2023 aber nicht mehr. Wir warten immer noch auf sinkende Preise deutlich unter 10 Rappen pro kWh und müssen spätestens im Herbst mit dem Kauf beginnen.» Seit Jahren steigert Ypsomed mit umfangreichen Program men die Energieeffizienz, reduziert die CO₂-Intensität und bezieht 100 % der Elektrizität aus erneuerbaren Energien – «aber die hohen Strompreise haben das Potenzial, 1 bis 2 % des Gewinns zu ver-nichten. Wir werden überall die Preise anpassen, wo das möglich respektive verhandelt ist.» Zurzeit prüft das Unternehmen in Schwerin (D) den Bau eines eigenen Windkraftwerkes. «So ein Unterfangen wäre in der Schweiz undenkbar.»
Autobranche fehlt das Zubehör
Problematisch für Philippe Arnet, Geschäftsleiter Verkauf bei der Garage W. Ulrich AG in LohnAmmannsegg, ist weniger der drohende Strommangel, als die fehlenden und teuren Rohstoffe. «Das hat zur Folge, dass wir für unsere Autos mit Preisaufschlägen und Lieferfristen von 6 bis 12 Monaten rechnen müssen. Gewisse Teile sind gar nicht mehr lieferbar. Das kann sich auch auf die Innenausstattung der Autos auswirken: Wenn das erforderliche Zubehör nicht zur Verfügung steht, müssen gewisse Details einfach weggelassen werden. Dieser Rohstoffmangel ist auch eine direkte Folge des Ukraine-Krieges: Zum Teil benötigt die Autoindustrie ähnliche Materialien und Teile wie die Waffenindustrie», so Philippe Arnet. «Steuerungsgeräte beispielsweise braucht es auch für Solaranlagen – und die Baubranche boomt.» Der knappe Rohstoff verteuert denn auch die Preise: Es könne durchaus sein, dass ein Sensor, der früher 100 Franken gekostet hat, heute mit 250 Franken zu Buche schlägt. Wie geht es weiter? Philippe Arnet glaubt nicht, dass sich die Ausgangslage in den nächsten 12 Monaten ändern wird. «Wahrscheinlich müssen wir uns noch länger mit diesen Problemen auseinandersetzen.»
Profitiert von der Krise
Keine Regel ohne Ausnahme: Claudia Spaeti, die Innenarchitektin aus Bellach, profitiert von der aktuellen Krise. «Die Pandemie kam unserer Branche beziehungsweise meinem Unternehmen zugute. Es war eine sehr intensive und wirtschaftlich erfolgreiche Zeit, die viel Flexibilität erforderte, aber auch Freude bereitete», sagt sie. Seit rund einem Monat normalisiere sich jedoch die Auftragslage. Viele Kundenprojekte sind aufgegleist und nun in der Umsetzungsphase. Bauliche Entscheide wurden – vor allem bei Privatpersonen – infolge der sich abzeichnenden Kostensteigerungen beschleunigt. Anders bei Unternehmen und öffentlichen Institutionen: Dort stellt Claudia Spaeti eine höhere Preissensibilität fest. «Teilweise bis hin zu Auftragsstopps. Investments werden zurückgehalten oder auch Konzepte auf Eis gelegt.» Eine Ausnahme ist der Gesundheitsbereich: «Hier wird weiterhin investiert und ausgebaut.» Sie geht jedoch grund sätzlich davon aus, dass Investitionen nicht allzu lange zurückgestellt werden können. «Der Erwerb und der Unterhalt von Liegenschaften sind weiterhin einer der sichereren Anlagebereiche – gerade in inflationären Zeiten.» Den Lieferengpässen steuert sie mit langfristiger Planung und umfassender Aufklärungsarbeit entgegen. Bei kurzfristigen Umsetzungen sucht sie mit Lieferanten nach Lösungen, etwa mit Ersatz oder Überbrückungsmöbeln. «Konzeption und Umsetzung erfordern von mir deshalb mehr Flexibilität.» Wie sich die nächsten 12 Monate präsen tieren werden, hange von verschiedenen Faktoren ab, sagt sie. Etwa von der Ent wicklung der Preise, der Beschaffung von Rohstoffen, der Entwicklung der inflationären Tendenzen, den Hypothekarzinsen und einer allfälligen neuen CoronaWelle. «Ich gehe von einem weiteren Auftrags rückgang bei Grossprojekten und einer Verschiebung hin zu mehr Kleinaufträgen aus. Zudem muss ich mich wohl intensiver mit dem Up- und Recycling von bestehenden Materialien auseinandersetzen.»
Korrektur am Aktienmarkt
«Die Wirtschaft befindet sich in einem schwierigen Umfeld. Nebst einer deutlich anziehenden Inflation und der daraus resultierenden Angst vor einer zu restriktiven Geldpolitik belasten auch Lieferengpässe und Personalmangel gewisser Branchen die globale Wirtschaft», fasst Roman Eichmüller zusammen. Der Leiter Anlageberatung der Spar und Leihkasse Bucheggberg erinnert an die bedeuten den Verluste bei den Aktien zu Jahresbeginn. «Der Kriegsausbruch in der Ukraine verunsicherte die Marktteilnehmer zusätzlich. Die gestiegenen Marktzinsen belasteten auch die Bondmärkte. So resultierte vor allem bei Obligationen mit längeren Restlaufzeiten ein vergleichswei ser hoher Kursverlust.» Erholung zeichnet sich ab: «Aufgrund der aktuellen Korrektur an den Aktienmärkten sind die Bewertungen der einzelnen Unternehmen zurückgekommen und befinden sich wieder auf einem attraktiven Niveau», so Roman Eichmüller. «Bei einem entsprechenden Anlagehorizont empfiehlt es sich daher, in solide Schweizer Unternehmen zu investieren. Der Fokus sollte dabei nebst der Bewertung (KGV) auch auf einer nachhaltigen Dividenden politik liegen.»
Diese Recherche zeigt deutlich: Die Megatrends Klimawandel, Globalisierung und Demographie stehen im Kanton Solothurn nicht nur an erster Stelle – es wird ihnen auch mit viel Eigenverantwortung und Unternehmergeist begegnet. <