Megatrends sind in aller Munde. Stabile Säulen in der Krise, klare Treiber von Veränderungen und konstante Chancen für Innovationen. Doch wie werden Megatrends von der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine beeinflusst? Welche werden ausgebremst, welche verstärkt?
Innerhalb von gut zwei Jahren sind zwei Weltereignisse eingetreten, die niemand vorhergesehen hatte: die Pandemie und der Krieg in der Ukraine. Wie sich Corona und vor allem der aktuelle Krieg auf die Megatrends, sprich auf die Zukunft, auswirken werden, beschäftigt derzeit viele Expertinnen und Experten. Es wird untersucht, welche langfristigen Megatrends durch diese folgenschweren Ereignisse befeuert, welche ausgebremst werden. «Die Krise erzeugt Veränderungen in Stärke, Richtung und Bedeutung der klassischen Megatrends», sagt der renommierte Zukunftsforscher Matthias Horx.
Lawine in Zeitlupe
Aber was genau sind Megatrends? Kurz: Tiefenströmungen des Wandels. Als Ent- wicklungskonstanten der globalen Gesellschaft umfassen sie mehrere Jahrzehnte. Ein Megatrend wirkt in jedem einzelnen Menschen und umfasst alle Ebenen von Wirtschaft, Politik sowie Wissenschaft, Technik und Kultur. Megatrends verändern die Welt – zwar langsam, dafür grundlegend und langfristig. Bildlich gesprochen: eine Lawine in Zeitlupe. Mega- trends benennen und beschreiben extrem komplexe Prozesse: Eine Methode, die vielfältige Veränderungsdynamiken der Gesellschaft im 21. Jahrhundert verständlich und greifbar macht. Sie erweisen sich als wertvolle Navigationshilfen durch den Dschungel gegenwärtiger und künftiger Treiber. Heute ist der Begriff der Megatrends weit verbreitet und dient als Basis zahlreicher Forschungs- und Entwicklungsprojekte. Sie bilden die Grundlage für die Evolution ganzer Wirtschaftsbereiche und sind vielfach der Ausgangspunkt weitreichender Strategien in Unternehmen und anderen Organisationen. Matthias Horx definiert sie so: «Megatrends sind die Blockbuster der Veränderungskräfte. In einem geordneten Trend- system unterscheiden sie sich von anderen Trends durch Langfristigkeit, Resilienz und Ubiquität: Sie verändern und durchdringen Zivilisationsformen, Technologie, Ökonomie und Wertesysteme gleichzeitig.» Die Pandemie und der Krieg haben nun einige der Megatrends vorangetrieben, andere verlangsamt und dadurch die Stossrichtung wieder anderer Megatrends verändert. Zeit, die grossen Treiber des Wandels unter den neuen Vorzeichen zu beleuchten. Vor allem die Megatrends Klima und Energie, Globalisierung und Lieferketten, Digitalisierung sowie Demo- grafie sind derzeit in aller Munde, sind Thema vieler Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen.
Klima und Energie
Die Herausforderungen sind immens, der Angriff auf die Ukraine und der politische Bruch mit Russland hat Folgen: Steigende Energiepreise und sinkende Ressourcen mischen die Karten im Wettbewerbsumfeld neu. Stromversorgung, Klimawandel, Energiekrise – das sind die Themen der Stunde, die neuen Sorgen der Wirtschaft. Die Klimapolitik fordert einen raschen Ausbau erneuerbarer Energien. Gleichzeitig steigt der Strombedarf in der Schweiz durch die Elektrifizierung des Verkehrs und die Dekarbonisierung der Gebäudeheizungen weiter an. Strom könnte schon im nächsten Winter knapp werden – auch in der Schweiz. Wie sehen mögliche Lösungen für die längerfristige Stromversorgung aus? Es scheint essenziell, dass die Abhängigkeit von fossilen Energien verringert werden muss. Einerseits aus Gründen des Umweltschutzes, aber auch, weil die Alternativen fehlen. Die Solothurner Regierung regiert mit dem neuen Energiekonzept 2022 und setzt auf mehr kantonale Förderung und mehr Eigenverantwortung. Sie will damit einerseits erreichen, dass Öl- und Gasheizungen rascher ersetzt werden. Andererseits auch den Ausbau von Photovoltaik und Fernwärme sowie von Ladestationen für Elektrofahrzeuge in Mehrfamilienhäusern beschleunigen. Das Thema Energie, die mögliche Strommangellage und die explosive Preisentwicklung fordern Flexibilität. Und die Frage, ob in dieser Energiekrise die Atomkraft eine Renaissance feiern und die Lösung bringen könnte, steht im Raum. «Über den Bau von neuen Kernkraftwerken sprechen wir bei der BKW nicht», sagte Ronald Trächsel, CFO der BKW, kürzlich am Energiegipfel 2022 in Solothurn. Auch Daniel Probst, Direktor der Solothurner Handelskammer und VRP der Aare Energie AG, Olten sowie der Städtischen Betriebe Olten, betonte an derselben Veranstaltung, dass der Bau von Kernkraftwerken viel zu lange dauere und es nun möglichst schnelle Lösungen brauche. Gegen Technologieverbote sprach er sich aber dezidiert aus, «denn auch die Kernkraft hat sich weiterentwickelt.» Die Grundstimmung gegenüber Kernkraft hat sich sichtlich geändert. Regierungsrätin Brigit Wyss bestätigte an der Podiumsdiskussion: «Die Kernkraftwerke laufen zu lassen, ist ein stiller Kompromiss.» Und die Erneuerbaren? Von den Erneuerbaren würde zwar viel gesprochen, aber die kurz- und mittelfristige Umsetzung sei auch hier schwierig, waren sich alle Podiumsgäste am Solothurner Energiegipfel einig: Bei Wasserkraftwerken sei der lange Genehmigungsprozess eine Herausforderung und bei PV-Anlagen reiche das Potenzial bis 2025 schlichtweg nicht aus. «Wir müssen die vorherrschende Verfahrensmenta- lität in diesem Land beseitigen», mahnte Ständerat Pirmin Bischof. Ronald Trächsel bestätigte – Wind und PV seien zwar marktfähig, aber das Genehmigungsverfahren und die Baudauer enorm lange. Peter Grünenfelder, Direktor des Think-Tanks Avenir Suisse, betonte schon zu Beginn der Veranstaltung: «Der Weg in die Stromzukunft liegt darin, dass wir hausgemachte Probleme thematisieren und nicht die ganze Verantwortung weiter hin- und herschieben. Wir müssen den ideologischen Grabenkampf zwischen dem Naturschutz und dem Kapazitätsausbau lösen.» Die Zusammenhänge sind komplex und es gibt keine einfachen Antworten auf die aktuellen Herausforderungen. Eines ist sicher: Die Lösungswege aus der drohenden Energiekrise werden von Rahmenbedingungen, Interessenskompromissen sowie Innovationskraft der Schweizer Industrie und Energieversorger getragen. Dieser Megatrend wurde essenziell befeuert.
Globalisierung
Die Schliessungen von Produktionsstandorten aufgrund der Pandemie und des Krieges verursachen aktuell weitreichende Probleme. Wird der Megatrend Globalisierung neu bewertet? Die Frage nach den Produktionsstandorten wird dringender. Sollten Lieferketten verkürzt und die Auslagerung der Produktion reduziert werden? Auch Solothurner Unternehmen leiden unter diesen Produktionsschocks und möchten sich vorbereiten. Um Risiken zu vermeiden, scheint die Rückführung, zumindest der strategisch wichtigsten Produktionsbereiche, eine mögliche, wenn auch kostspielige Lösung zu sein. Dies zeigt sich am Beispiel der Automobilindustrie, die aufgrund des Zusammenbruchs der Lieferketten noch nicht wieder das Produktionsniveau von vor der Pandemie erreichen konnte. Zudem behindern die Blockade von Palladiumexporten aus Russland und von Neon aus der Ukraine die Produktion von Katalysatoren und integrierten Schaltkreisen. Aber auch andere Branchen leiden (siehe Artikel Seite 12).
Demografie
Rund um den Globus wird die Bevölkerung älter – und gleichzeitig bleiben die Men- schen länger gesund. Corona war ein Backlash für diesen Trend zum Free Aging: «Alter» wurde plötzlich gleichbedeutend mit «Risikogruppe» gesetzt. Und mit der kommenden Pensionierung der Babyboomer-Generation werden einschneidende Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt erwartet. Diese Veränderungen betreffen sowohl das Angebot von als auch die Nachfrage nach Arbeitskräften. Auf der Seite des Arbeitsangebots ist zu erwarten, dass die altersbedingten Austritte aus dem Arbeitsmarkt markant zunehmen, während Neueintritte von jungen Arbeitneh- menden bestenfalls leicht ansteigen. «Bereits heute ist die Anzahl 65-Jähriger in der Schweiz höher als die Anzahl 20-Jähriger», hält die wirtschaftswissenschaftliche Fakul- tät der Uni Basel fest. Unternehmen sind aber nicht nur durch eine Verknappung des Arbeitsangebotes vom demografischen Wandel betroffen. Es verändert sich auch die Altersstruktur der Konsumenten. Da ältere Konsumenten einen anderen Warenkorb zusammenstellen als jüngere, führt der demografische Wandel ebenfalls zu Verschiebungen des Konsums. Ein Beispiel: die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleis- tungen. Die Folge: Es werden mehr Fachkräfte im Bereich Gesundheit gebraucht. Um dem zunehmenden Fachkräftemangel im Kanton Solothurn entgegenzuwirken und so den Wirtschaftsraum Solothurn zu stärken, wurde kürzlich die Initiative «So-Tech Network» lanciert. Die webbasierte Plattform, die sich an Fachkräfte sowie Un- ternehmen richtet, wird vom Kanton Solothurn über die Neue Regionalpolitik unter- stützt. Vor allem der Fachkräftemangel in den sogenannten MINT-Berufen (Mathe- matik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) ist seit einigen Jahren eine wach- sende Herausforderung für Unternehmen. Auch im Wirtschaftsraum Solothurn wur- den in der jüngsten Vergangenheit rund 3000 offene Stellen in den betreffenden Bereichen registriert (mehr zu dieser Initiative auf Seite 22). Die aktuellen Weltereignisse haben auf den Megatrend Demografie keinen Einfluss.
Digitalisierung
Dieser Megatrend beschreibt das dominante Grundmuster des gesellschaftlichen Wandels im 21. Jahrhundert: das Prinzip der Vernetzung auf Basis digitaler Infra- strukturen. Vernetzte Kommunikationstechnologien verändern das Leben, das Arbeiten und die Wirtschaft grundlegend. Sie reprogrammieren soziokulturelle Codes und bringen neue Lebensstile, Verhaltensmuster und Geschäftsmodelle hervor. Die digitalen Technologien und Services markieren nicht ausschliesslich den Beginn einer neuen Gesellschaftsepoche, sondern verändern die Rahmenbedingungen für unternehmerischen Erfolg fundamental – und verlangen neue Kompetenzen. Die zentrale Voraussetzung, um diesen Umbruch zu meistern und mitzugestalten, ist ein ganzheitliches Verständnis des digitalen Wandels. Diese einschneidende Entwicklung der Konnektivität verstärkte sich nochmals, als während der Corona-Krise persönliche Begegnungen vielerorts durch Virtualität ersetzt wurden. Corona hat die Digitalisierung vollends von der Zukunft in die Gegenwart geholt. Fazit: Megatrends bewegen die Industrie und das Gewerbe gleichermassen. Nur wer sich intensiv mit den Tiefenströmun- gen auseinandersetzt, die Risiken identifiziert und den Wandel erkennt, kann die damit verbundenen Herausforderungen meistern. <
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