Im Kanton Solothurn ist es für einen betrügerischen Konkurs schwierig geworden

Kämpfen gemeinsam gegen betrügerischen Konkurs: Martin Schmalz (vorne li), Chef des kantonalen Konkursamtes; Mirco Müller (hinten li), Registerführer des kantonalen Handelsregisteramtes; Kilian Bärtschi (vorne re), Agenturleiter Suva Solothurn und Staatsanwalt Domenic Fässler (hinten re).

Wissentlich einen betrügerischen Konkurs zu inszenieren, ist im Kanton Solothurn schwierig geworden. Dafür sorgen die Verantwortlichen der Suva Solothurn, des Konkurs- und Handelsregisteramtes und der Staatsanwaltschaft. Wo sie erfolgreich sind und wo noch Lücken klaffen, erläutern die vier Drahtzieher in einem Gespräch.

Herr Schmalz, gerne richte ich die erste Frage an Sie als Chef des Solothurner Konkursamtes: Darf es in unserem Wirtschaftssystem einen ordentlichen Konkurs geben?
Martin Schmalz: Selbstverständlich, ein Konkurs ist grundsätzlich kein strafrechtlicher Tatbestand. Eine Geschäftsidee kann scheitern oder die Rahmenbedingungen können sich ändern. Ich zitiere eine Volksweisheit: Jeder richtig gute Unternehmer ist im ersten Anlauf gescheitert und erst beim zweiten Versuch erfolgreich. Auch in den Lehrbüchern steht, dass ein Konkurs eine Rechtswohltat ist. Mit einem Konkurs kann sich eine Schuld nerin / ein Schuldner oder ein Unternehmen befreien und ohne Altlasten einen Neuanfang in Angriff nehmen. Ein Konkurs ist in diesem Sinne also nicht verboten oder illegal.

Wie schätzen Sie die Situation als Staatsanwalt ein, Herr Fässler?
Domenic Fässler: Ich sehe es gleich. Die Idee einer juristischen Person besteht ja gerade darin, dass private Gelder geschont werden, wenn man wirtschaftlich scheitern sollte. Damit soll die Innovation gefördert werden. Das ist völlig okay, so lange alles legal abläuft.

Staatsanwalt Domenic Fässler.

Und wie stufen Sie, Herr Müller, als Registerführer des Handelsregister – amtes einen Konkurs ein?
Mirco Müller: Auch so. Ohne die Möglichkeit eines Konkurses würde es einen massiven Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit geben. Und wie Martin Schmalz bereits gesagt hat, gibt es diese Möglichkeit und sie ist grundsätzlich nicht strafbar. Es stellt sich jedoch immer die Frage, aus welchen Gründen es zum Konkurs kommt. Und die sind schlussendlich entscheidend.

Und für Sie, Herr Bärtschi, gehört für die Suva der ordentliche Konkurs auch zum System?
Kilian Bärtschi: Sicher, ich kann dem nur beipflichten. Der Grund ist entscheidend. Ich habe auch schon erlebt, dass ein Unternehmen, welches immer seine Prämien bezahlt hat, bei einem Grossauftrag kein Geld erhielt. So ging das Unternehmen unverschuldet in Konkurs.

Kilian Bärtschi, Agenturleiter Suva Solothurn.

Ganz anders sieht es beim betrügerischen Konkurs aus, bei der Misswirtschaft. Wo sind die ersten Anzeichen sichtbar? Beim Handelsregisteramt?
Mirco Müller: Das erste Anzeichen ist sicher der Mantelhandel und dort gibt es auf jeden Fall Indizien. Unsere Mitarbeitenden wissen, worauf sie achten müssen. Es sind Standardfälle wie Firmenänderungen, Zweckänderungen, Domiziländerungen oder Sitzverlegungen. Und wenn sich diese Fälle gebündelt zeigen, gerade bei einer GmbH in Verbindung mit Stammanteilabtretungen, bei denen alle Anteile verschoben werden, liegt der Verdacht eines betrügerischen Handelns nahe. Bei einer Aktiengesellschaft ist dies schwieriger festzustellen. Aber ja, die Handelsregisterämter sind jene, welche auf Verwaltungsseite diesbezüglich an erster Stelle stehen. An allererster Stelle stehen aber in der Regel die Notare, die auch einiges er kennen können oder sollten.

Kann sich eine Firma auch direkt bei der Suva anmelden?
Kilian Bärtschi: Ja, bei einer Einzelfirma ist das durchaus möglich. Wir stellen jedoch fest, dass meistens die juristische Form der GmbH gewählt wird. Als Teilmonopolist sind gewisse Branchen automatisch bei uns versichert. Das bedeutet, wenn sich ein Unternehmen neu anmeldet und wir kennen die beteiligten Per­sonen bereits aus vorhergehenden Konkursen, müssen wir die Versicherung trotzdem abschliessen. Dies, obwohl wir aufgrund der Vergangenheit schon erkennen, dass es schwierig werden könnte, überhaupt Versicherungsprämien zu erhalten.

Können Sie in einer solchen Situation gar nichts unternehmen?
Kilian Bärtschi:
Wenn wir Auffälligkeiten feststellen, treffen wir bei einer Neuanmeldung intensivere Abklärungen. Ebenfalls lassen wir ein gemeinsam mit unseren Partnern entwickeltes Merkblatt unterzeichnen. Dieses weist auf gesetzliche Bestimmungen im Zusammenhang mit der Misswirtschaft hin. Wenn die erforderlichen Unterlagen vorliegen, können wir den Versicherungsschutz nicht ablehnen. Wir beobachten jedoch das Zahlungsverhalten dieser neugegründeten Firmen genau und leiten bei Bedarf rasch betreibungsrechtliche Massnahmen ein.

«Wir stellen oft fest, dass Firmeninhaber ihre Pflichten nicht oder zu wenig wahrnehmen.»

Was treffen Sie für Herausforderungen an, wogegen kämpfen Sie an?
Martin Schmalz: Wir stellen oft fest, dass Firmeninhaber ihre Pflichten nicht oder zu wenig wahrnehmen. Sei dies eine fehlende oder nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Buchhaltung oder wichtige Unterlagen, die nicht vorhanden sind. Da stellt sich die Frage, was der Grund dafür ist. Die Hürden für eine Firmengründung sind relativ tief – gewollt und wahrscheinlich auch richtig. Oft sind sich Firmeninhaber aber zu wenig bewusst, welche Pflichten mit einer Firmengründung einhergehen. Es ist zwar eine Minderheit, die Misswirtschaft betreibt. Jedoch richtet sie damit einen beträchtlichen Schaden an und versucht, mit krimineller Energie dieses System auszunutzen.

Wissentlich?
Martin Schmalz: 
Wissentlich. Ich spreche von einer Minderheit. Missbrauch hat es immer gegeben und wird es immer geben, das wird aktuell auch wieder exemplarisch bei den Covid-Krediten deutlich. Und deshalb ist es umso wichtiger, dass diese Missbräuche aktiv bekämpft und schlussendlich bestraft werden.

Martin Schmalz, Chef des kantonalen Konkursamtes.

Zum Schluss kommen die Fälle zu Ihnen Herr Fässler. Aufgrund welcher Beweismittel fällen Sie ein Urteil und ist die betrügerische Vorgehensweise immer ähnlich?
Domenic Fässler:
Ein wichtiges Indiz ist der Betreibungsregisterauszug. Die Vorgehensweise ist oftmals ähnlich, indem beispielsweise gewisse Forderungen wie Steuern oder Sozialversicherungskosten aus Prinzip nicht bezahlt werden. Da die Gesellschaften schon von Beginn weg keine oder nur wenige liquide Mittel haben, sind sie schon nach kurzer Zeit überschuldet und gehen dann in Konkurs.

Können Sie ein Beispiel, wie Sie gegen Mantelhandel vorgehen, schildern?
Mirco Müller: 
Wenn wir einen Verdacht auf Mantelhandel haben, muss uns die Gesellschaft zum Beispiel durch die Jahresrechnung belegen, dass sie aktiv ist. Zudem nimmt das Handelsregisteramt weitere Abklärungen bei verschiedenen Behörden vor und prüft anhand des Betreibungsregisters, ob bereits Verlustscheine bestehen. Wenn die Gesellschaft die Jahresrechnung nicht vorlegen kann bzw. will oder durch die Abklärungen die Inaktivität nachgewiesen wird, ist dieser Verdacht erhärtet. Vor allem in dem Moment, in dem der Verdacht auf Mantelhandel ausgesprochen und eine Jahresrechnung eingefordert wird – dann wird das Geschäft zurückgezogen. Das ist der klassische Fall.

Mirco Müller, Registerführer des kantonalen Handelsregisteramtes.

Und um solche Fälle zu vermeiden, haben Sie sich mit den anwesenden Partnern zusammengetan und den «Flow» gegründet. Erfolgreich?
Mirco Müller: Erfolgreich. Ich muss sagen, dass sich im Kanton Solothurn die Praxis, wie wir gegen Mantelhandel vorgehen, inzwischen herumgesprochen hat. Und gerade unsere Notare, das ist auch erwähnenswert, sind sehr vorbildlich. Diese machen keine entsprechenden Beurkundungen mehr, wo sie selbst schon den Verdacht haben, dass es ein Mantelhandel, welcher übrigens nichtig ist, sein könnte. Und das ist für uns entscheidend. Ändert natürlich nichts daran, dass gesamtschweizerisch das Problem nach wie vor existiert.

Und trotzdem verzeichnen wir immer noch Fälle im Kanton Solothurn?
Kilian Bärtschi:
Die Gründung solcher Firmen kann man nicht verhindern, wenn sie wirklich eine Geschäftstätigkeit ausüben. Der klassische Fall bei uns entwickelt sich so: Die Versicherungsprämien und weitere öffentlichrechtliche Forderungen werden konsequent nicht bezahlt. Alle anderen Forderungen werden beglichen. Es ist in diesen Kreisen bekannt, dass wir nicht direkt auf Konkurs betreiben können. Wir betreiben also bis wir einen Verlustschein erhalten und versuchen dann mit einem Sonderverfahren die Konkurseröffnung zu erwirken.

Herr Fässler, haben Sie oft mit Konkursreiterei zu tun?
Domenic Fässler: Wir haben im Kanton Solothurn eigentlich selten klassische Fälle von Konkursreiterei mit einem sogenannten Bestatter. Wir treffen eher auf Personen, die Aktien oder Anteilscheine einer Firma übernehmen, welche aber keinerlei Aktiven besitzt. Teilweise sind solche Firmen bereits hoch verschuldet. Nach der Übernahme eines solchen Firmenmantels wird oftmals der Sitz in einen anderen Kanton verlegt. Problematisch ist, dass diese Firmen am neuen Sitz wieder ein leeres Betreibungsregister aufweisen und damit den Gläubigern als kreditwürdig erscheinen. Somit nehmen diese Firmen weiter am Wirtschaftsleben teil und vergrössern ihre Schulden laufend. Wenn sie in Konkurs gehen, wird umgehend eine neue marode Firma übernommen und das ganze Prozedere beginnt von vorne.

Mirco Müller: Es ist richtig, diese klassischen Konkursreitereien – die Fälle, die durch die Presse gingen – sind nicht jene, die wir haben und verfolgen. Oder nicht en masse. Und die Eintragungen infolge Mantelhandels haben sich seit unserer gemeinsamen Initiative im Kanton Solothurn massiv zurückgebildet. Das ist statistisch erfasst.

«Um missbräuchliche Konkurse effektiv und effizient zu bekämpfen, braucht es Partner, die wir im Kanton Solothurn zum Glück haben. Partner, die heute hier sitzen und am selben Strick ziehen.»

Wie hoch ist das Strafmass bei missbräuchlichem Konkurs?
Domenic Fässler: Beim ersten Konkurs gibt es in der Regel eine bedingte Strafe. Beim zweiten und dritten Konkurs sind die Täterinnen und Täter bereits einschlägig vorbestraft und es wird normalerweise eine unbedingte Strafe nach sich ziehen. Diese kann in Form einer Geld- oder einer Freiheitsstrafe ausgesprochen werden.

Was motiviert Sie bei dem sogenannten «Flow» mitzuwirken?
Martin Schmalz: Dazu braucht es aus meiner Sicht eigentlich keine spezielle Motivation. Ich erachte es schlichtweg als unsere Aufgabe und Pflicht, beziehungsweise als Teil unseres Jobs, Missbräuche aktiv zu bekämpfen.

Mirco Müller: Definitiv, so ist es. Es geht auch um die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Kanton Solothurn. Schlussendlich verhindern wir mit unserer Zusammenarbeit Ausfälle in Millionenhöhe, die aus Misswirtschaft entstehen. Und das sehe ich als unsere Pflicht zu Gunsten der Volkswirtschaft.

Kilian Bärtschi: Stimmt. Gerade auch als Sozialversicherer stehen wir in der Pflicht, uns gegen missbräuchliche Konkurse konsequent zu wehren. Wie erwähnt, bilden solche Fälle nicht eine Mehrheit – ein kleiner Teil, der jedoch grossen Schaden anrichtet. Um missbräuchliche Konkurse effektiv und effizient zu bekämpfen, braucht es Partner, die wir im Kanton Solothurn zum Glück haben. Partner, die heute hier sitzen und am selben Strick ziehen.

Sind Ihnen die betrügerischen Geschäftsleute immer einen Schritt voraus?
Kilian Bärtschi (lacht): Ich vergleiche die Situation mit dem Dopingbereich. Beim Doping wird immer wieder etwas Neues entwickelt. Und die Dopingfahnder hinken hinterher, obwohl sie versuchen, die Lücken zu schliessen. Manchmal habe ich das Gefühl, uns geht es ähnlich. Mit dem «Flow» versuchen wir die Lücken schneller zu schliessen. Wir wollen die schwarzen Schafe früh erkennen und möglichst rasch aus dem Wirtschaftskreislauf rausnehmen. Es ist unsere Pflicht, die ehrlichen Prämienund schlussendlich auch die Steuerzahler entsprechend zu schützen.

Ist die rechtliche Grundlage ausreichend, um einen Konkurs zu eröffnen?
Martin Schmalz: Grundsätzlich ja. Ak­tuell sind zudem verschiedene Gesetzesänderungen in Diskussion. Im Parlament ist unter anderem eine Änderung pendent, wonach öffentlichrechtliche Forderungen nicht mehr auf Pfändung, sondern neu auf Konkurs betrieben werden können.

Herr Fässler, haben Sie das Gefühl, dass sich jemand mit solch kriminellen Energien, so abschrecken lässt?
Domenic Fässler: Ich hoffe es.

Und was motiviert Sie?
Domenic Fässler:
Es gibt zwei Dinge, die mich wirklich motivieren, das Phänomen der Misswirtschaft aktiv zu bekämpfen: Einerseits die enormen Schäden, welche für die Gläubiger durch die orchestrierten Konkurse entstehen. Andererseits aber auch die grossen Wettbewerbsverzerrungen, die dadurch entstehen, dass gewisse Unternehmungen aus Prinzip gewisse Forderungen wie Steuern und Sozialabgaben nicht bezahlen. Diese haben dadurch deutlich tiefere Unkosten und können auf dem Markt mit Dumpingpreisen offerieren. Ehrlich agierende Unternehmungen können das nicht; sie sind die Dummen im Umzug und haben bei der Auftragsvergabe oftmals das Nachsehen. Das ist unfair und nicht haltbar.

«Wer keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlt und nur die Hälfte der Mitarbeitenden abrechnet, kann viel günstiger als die Konkurrenz, zu Dumpingpreisen offerieren.»

Kooperationen mit Branchenverbänden und Unternehmen sind weitere Schritte im Kampf gegen Misswirtschaft. Auf welche Branche fokussieren Sie?
Kilian Bärtschi: Betroffen sind verschiedene Branchen. Beispielsweise haben wir um missbräuchliche Konkurse und Schwarzarbeit zu verhindern, mit dem Schweizerischen Gerüstbau-Unternehmer-Verband SGUV eine schweizweite Initiative lanciert. Bei der Vergabe von Subunternehmeraufträgen arbeiten die grossen Gerüstbaufirmen neu mit einer Vollmacht, die ihnen ermöglicht, die Seriosität der Subunternehmen besser zu prüfen. Dies im Zusammenspiel mit den Sozialversicherungen. Domenic Fässler hat bereits erwähnt: Wer keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlt und nur die Hälfte der Mitarbeitenden abrechnet, kann viel günstiger als die Konkurrenz, zu Dumpingpreisen offerieren. Es braucht auch die Zusammenarbeit mit Verbänden und grossen Unternehmen, nicht nur im Gerüstbaubereich, um faire Bedingungen für alle ehrlichen Unternehmen zu schaffen.

Die Problematik rund um Subunternehmen war schon immer ein Thema. Hat sich die Situation zugespitzt?
Kilian Bärtschi: Gefühlt ja. Die Problematik steht heute sicher auch vermehrt im Fokus. Im Gegensatz zu früher wird die Gefahr von missbräuchlichem Konkurs heute erkannt und entsprechend gehandelt.

Mirco Müller: Mit einer Zusammenarbeit können betroffene Branchenverbände Imagepflege betreiben. Und sich von betrügerischen Konkursen abgrenzen. Wir schätzen es deshalb sehr, wenn sich die Wirtschaftsvertreter gemeinsam mit uns gegen Misswirtschaft einsetzen. Und wie sieht es mit dem Datenschutz innerhalb Ihrer Flow-Gruppe aus? Martin Schmalz:Das ist in diesem Sinne für mich absolut kein Problem. Wir tragen keine geheimen Daten zusammen, die niemand kennt. Unsere Auskunft und die Unterlagen, die wir weitergeben, sind im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und Bestimmungen kein Geheimnis. Gerade im Konkurs haben Gläubiger Einsichtsrecht und Dritte sind uns gegenüber auskunftsverpflichtet. Domenic Fässler:Daten sind heute immer ein sensibles Thema. Im Rahmen von konkreten Fällen sprechen wir uns aber nicht ab. Vielmehr haben wir eine einheitliche Vorgehensweise festgelegt. Damit wird das Anzeigeverfahren vereinfacht und standardisiert. So wurde beispielsweise eine Musteranzeige entworfen und auch festgelegt, welche Beweismittel in der Regel nötig und ausreichend sind. Es ist uns in erster Linie darum gegangen, effizienter zu sein. Ich denke wir sind auf einem guten Weg.

«Oft wird angenommen, wenn sich Verwaltungsstellen zusammenschliessen, wird gemauschelt. Und das ist definitiv nicht so.»

Offenbar ein wichtiger Punkt in Ihrer Zusammenarbeit?
Mirco Müller:
Ein sehr wichtiger Punkt. Oft wird angenommen, wenn sich Verwaltungsstellen zusammenschliessen, wird gemauschelt. Und das ist definitiv nicht so. Wir haben lediglich Standards ausgearbeitet, welche die Verfolgung betrügerischen Konkurses vereinfacht. Domenic Fässler hat es gerade betont: Die Strafanzeige ist ein Paradebeispiel. Früher haben sich die Mitarbeitenden gesträubt, eine 15seitige Strafanzeige zu machen. Es ist nicht jeder ein Jurist, nur weil er auf einem Amt arbeitet. Und um den Prozess zu optimieren, zu vereinfachen, haben wir Mustervorlagen und Merkblätter ausgearbeitet. Diese geben wir ab und stellen damit sicher, dass alles standardisiert und administrativ vereinfacht abläuft. Das ist eigentlich der Kernpunkt unserer gemeinsamen Zusammenarbeit beim «Flow». Wir verhandeln nicht einzelne Fälle.

Martin Schmalz: Es geht auch um Effi­zienz. Wir haben nicht unbeschränkte Ressourcen, deshalb haben wir Abläufe vereinfacht und Parameter festgelegt. Zudem sind auch unsere Mitarbeitenden im Rahmen von normalen Ausbildungen oder Schulungen mit den Prozessen vertraut gemacht worden. Alle sind sensibilisiert und kennen die Relevanz des Themas.

Gibt es einen typischen Fall von betrügerischem Konkurs, den Sie aufzeigen können?
Kilian Bärtschi: Exemplarisch sind Herr und Frau A., die seit dem 2012 mit verschiedenen Firmen, sage und schreibe sechsmal Konkurs gingen und uns dadurch Prämienverlust von rund 90’000 Franken hinterlassen haben. Bei anderen Sozialversicherungen dürfte der Schaden ebenfalls erheblich sein. Nun haben wir bei den jüngsten zwei Firmen, welche Herr und Frau A. wieder gründeten, vertiefte Abklärungen getroffen und unser Merkblatt unterschreiben lassen. Aufgrund der nicht bezahlten Versicherungsprämien haben wir konsequenterweise die Konkurseröffnung verlangt. Das Konkursamt hat folgerichtig Strafanzeige wegen Konkursdelikten gestellt. Frau A ist wegen Misswirtschaft und fehlender Buchführung im Konkursfall verurteilt worden. Ein gutes Beispiel, wie unser gemeinsames Bestreben greift. Ich bin überzeugt, dass wir so gegen Kettenkonkurse erfolgreich vorgehen können.

Herr Fässler, heisst das, wenn jemand verurteilt wird, kann er keine Firma mehr gründen?
Domenic Fässler: 
Doch, das kann er immer noch. Indem Misswirtschaft nun aber intensiver thematisiert und verfolgt wird, soll den Firmeninhabern aufgezeigt werden, welche Machenschaften nicht legal sind. Es soll also eine grössere Sen­sibilisierung erreicht werden. Weiter er­hoffen wir uns durch die vermehrten Strafverfahren auch eine abschreckende Wirkung.

Mirco Müller: Die Wirtschaftsfreiheit ist in der Schweiz ein Grundrecht. Das heisst, Personen können xmal Konkurs gehen und immer wieder neu beginnen. Es geschieht nichts. Sie können sogar verurteilt werden, eine neue Firma gründen und das gleiche wieder abziehen. Daran ändert sich nichts. Und jetzt kommt unser Workflow ins Spiel: Unsere effiziente Zusammenarbeit erhöht die Hürden. Es wird schlicht und einfach mühsamer bei uns im Kanton Solothurn, diesen Missbrauch zu betreiben. Aber ändern tut sich schweizweit damit nichts, solange das im Parlament diskutierte und auf dieses Problem angepasste Tätigkeitsverbot nicht in Kraft gesetzt ist und die Schnittstellen eingeführt sind.

Sind die politischen Rahmenbedingungen im Kanton Solothurn gut?
Kilian Bärtschi: Bei uns im Kanton passen die Rahmenbedingungen und das Frühwarnsystem im Zusammenhang mit der Misswirtschaft funktioniert schon sehr gut. Wünschenswert wäre, dass schweizweit enge Partnerschaften ent­stehen würden. Sozialversicherungen und Wirtschaft müssen zusammenarbeiten. Nur so können wir auch längerfristig erfolgreich sein.

«Wir von Seiten des Staates haben die Zügel in die Hände genommen und setzen nun auch darauf, dass die Wirtschaft nicht weg­sieht.»

Mirco Müller: Im Vordergrund steht für mich, dass wir seit 2018 unseren Workflow haben und mit den wichtigen Playern an diesem Tisch sitzen. Da sind wir nun gut aufgestellt. Was aus der Politik kommt, wird sich zeigen. Zudem ist entscheidend, dass auch die Wirtschaft realisiert, dass sie aktiv werden muss. Wir von Seiten des Staates haben die Zügel in die Hände genommen und setzen nun auch darauf, dass die Wirtschaft nicht weg­sieht.

Welche politischen Lücken wurden bereits geschlossen und helfen?
Domenic Fässler: 
Ich bin erfreut, dass vorgesehen ist, dass öffentlichrechtliche Forderungen auf Konkurs betrieben werden können. Ich wünschte mir zudem ein eidgenössisches Betreibungsregister, das würde den Gläubigerschutz deutlich verbessern.

Martin Schmalz: Die politischen Rahmenbedingungen verbessern sich, wir haben sehr gute und bald noch bessere Möglichkeiten, unsere Aufgaben wahrnehmen zu können. Es ist offenbar auch ein gesellschaftliches Phänomen, immer die Firmen zu engagieren, welche die günstigsten Preise offerieren. Besser wäre, Unternehmen zu berücksichtigen, die seriös arbeiten und qualitativ gute Arbeit abliefern. Schlussendlich zahlt sich der Mehrpreis aus. Für alle. <

 

Glossar

Mantelhandel: Handel mit Anteilen einer Gesellschaft ohne Geschäftstätigkeit und ohne verwertbare Aktiven.
Misswirtschaft: Selbstverschuldetes, unökonomisches Handeln, welches die Unternehmung in den Konkurs führt.Flow:Bezeichnung der Zusammenarbeit von verschiedenen Partnern im Kanton Solothurn zur effizienten Bekämpfung der Misswirtschaft.
Firmenbestatter: Eine Person, die überschuldete Unternehmen übernimmt und in den Konkurs führt. Oftmals wird diese Person durch den Vorbesitzer des maroden Unternehmens für die «Entsorgung» bezahlt. Teilweise bezieht diese Person dann im Namen der Firma noch Leistungen Dritter, dies aber ohne den Willen und die Möglichkeit diese zu bezahlen.

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