Dem Präsidenten der SSO-Solothurn auf den Zahn gefühlt

Dr. med. dent. Dominik Jordi, Präsident der Zahnärzte-Gesellschaft SSO des Kantons Solothurn, betont, dass der Fachkräftemangel in der Zahnmedizin nicht so drastisch wie in der Humanmedizin sei. Er spricht über aktuelle Trends in der Zahnmedizin, über die junge Generation zahnärztlicher Mitarbeitenden und über der Umgang mit Social Media.

Dr. Dominik Jordi, der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist allgegenwärtig. Wie sieht es bei Ihnen in den Zahnarztpraxen aus? Macht Ihnen der Mangel an Fachkräften Sorgen?
Der Fachkräftemangel ist in der Zahnmedizin nicht so drastisch wie in der Human- medizin, dort in Bezug auf Spitäler und Hausarztpraxen. Die zahnmedizinische Ver- sorgung ist – mit Einbezug von Fachkräften aus den Nachbarländern an den Universi- täten, aber auch in Privatpraxen – in der Schweiz immer noch vollauf genügend. Ein Trend zeichnet sich ab: In den Ballungsgebieten ist eher eine Überversorgung und in gewissen ländlichen Gebieten eher eine Unterversorgung zu beobachten.

Wer studiert heute Zahnmedizin?
Es findet schon seit längerem eine Feminisierung in der Medizin und eben auch in der Zahnmedizin statt. Die Gründe dafür sind vielfältig und nachvollziehbar. Ich begrüsse diese Entwicklung sehr, weil lange Zeit das Weibliche, das heisst, das Kommunikative, Diplomatischere, zwischenmenschlich Raffiniertere und weniger Dominante, Hierarchische und Machtbestimmte, in der Medizin und Zahnmedizin bedauerlicherweise fast vollkommen fehlte. Nur: Frauen stellen nicht das gleiche Arbeitspotenzial wie die Männer. Sie betreuen oft Kinder, machen eine Pause und arbeiten dann nur noch Teilzeit, während Männer meist ihr Leben lang 100 Prozent oder mindestens 80 Prozent arbeiten. Dieses Ungleichgewicht führt dazu, dass durch die Feminisierung viel mehr Frauen ausgebildet werden müssen, damit das gleiche Arbeitsvolumen erfüllt werden kann. Das wird einschneidende Folgen haben im Gesundheitswesen.

Welche Fachkräfte fehlen in Zahnarztpraxen am meisten?
Dentalhygienikerinnen und Dentalhygieniker sind für Zahnarztpraxen schwierig zu finden. Die Stellenbörsen führen meist ein geringes Angebot. Diese Gruppe von Fachkräften hat eine profunde Ausbildung und kann auch schwierige Fälle von Zahnfleischerkrankungen selbst behandeln. Deshalb entstanden in den letzten Jahren vermehrt Praxen, die von Dentalhygienikerinnen geführt werden. Das bedeutet, dass die Zahnärztinnen und Zahnärzte die Dentalhygiene nicht mehr in den eigenen Räumen anbieten, sondern das betreffende Patientinnen und Patienten an solche Praxen überweisen. Ob sich diese Entwicklung in der Zukunft verstärken wird, ist schwierig abzusehen. Ich denke, eine örtliche Trennung zwischen Zahnmedizin und Dentalhygiene erschwert die Zusammenarbeit, die bei komplexen Fällen sehr eng sein sollte.

Und Dentalassistentinnen?
Dentalassistentinnen – unabdingbar für jede zahnärztliche Arbeit – werden meines Erachtens noch knapp genügend ausgebildet. Die letzten Jahre verzeichnen allerdings einen Rückgang an Auszubildenden. Noch besteht ein Reservoir an Dentalassistentinnen, die nach einer Kinderpause wieder in den Beruf einsteigen. Aber wenn wir uns nicht dafür einsetzen, genügend Dentalassistentinnen oder Dentalassistenten auszubilden, dann werden wir uns auf einen schmerzlichen Mangel hinbewegen.

Hat sich die Lage in den letzten zwei Jahren verändert?
Nein, auch wenn die letzten zwei Jahre krisengeschüttelt waren, hat sich in der Zahnmedizin nicht viel verändert. Die Praxen waren nur sechs Wochen vom Lockdown 2020 betroffen. Das war zu kurz, als dass es viele Abwanderungen hätte geben können wie teilweise im Gastgewerbe. Die Trends, die ich oben beschreibe, umfassen eine grössere Zeitspanne.

Aufgrund der demografischen Entwicklung werden die Ausbildungszahlen zurückgehen. In Deutschland bangen Zahnärztinnen und Zahnärzte, ihre Behandlungen künftig ohne Dentalassistentin oder Dentalassistenten durchführen zu müssen. Wie sieht es künftig in der Schweiz aus?
Wie oben erwähnt, ist die Situation im Moment noch nicht alarmierend, obwohl wir auch von Jahr zu Jahr weniger Dentalassistentinnen mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) ausbilden. Im Jahr 2016 erhielten im Kanton Solothurn knapp 30 ihr EFZ. Dieses Jahr hatten wir gerade mal 15 Absolventinnen, was den Bedarf längerfristig bei Weitem nicht deckt. Da sind also Lösungen gefragt, wie wir den Beruf der Dentalassistentin EFZ attraktiver machen und künftig wieder mehr Auszubildende an unseren Schulen haben.

Auch die steigende Fluktuation der Mitarbeitenden ist problematisch. Wie erleben Sie die junge Generation?
Da sprechen Sie tatsächlich einen wunden Punkt an. Die Generation, die jetzt zwischen 16 und 26 Jahre alt ist, hat ganz andere Lebenseinstellungen als die vorangehenden Generationen. Sie erleben eine konsumorientierte Welt, die stark von den Social Media beeinflusst ist. Da präsentieren sich oft Gleichaltrige, die Trendsetter, Influencerinnen, Musiker, Coaches für Ernährung, Fitness, Lifestyle, Psychohygiene usw. sind oder rasches Geld zu verdienen scheinen mit sogenannten Trading-Apps.

Passt die aktuelle Lebenseinstellung zur Arbeit in einer Zahnarztpraxis?
Die Lebenseinstellungen tendieren auf der Work-Life-Balance stark zu Life: Reisen, sich an wunderschönen Plätzchen – natürlich wird heute von Locations gesprochen – ablichten lassen, Partys feiern, dabei eine Unmenge an Selfies produzieren und diese sofort auf Instagram publizieren, ebenso wie unzählige Fotos von gesundem Essen beziehungsweise von Powerfood. So sieht die Lebenswelt vieler heute aus, so ist das Lebensgefühl vieler geprägt. Eine Arbeit von 8:00 bis 12:00 und von 13:00 bis 17:00 Uhr ist ziemlich altmodisch und uncool. Zudem ist die Arbeit in einer Zahnarztpraxis sehr streng. Da ist nichts mit: Beine hoch und am Handy spielen. Vielmehr: Dauereinsatz, volle Konzentration und Zuverlässigkeit sind gefragt – und zwar oft unter Zeitdruck. Wie wirkt sich diese Entwicklung aus? Aus diesen und wohl auch weiteren Grün- den gibt es leider sehr viele Dentalassis- tentinnen oder -assistenten, die nicht lan- ge in ihrem Job bleiben. Besonders die intellektuell Stärkeren, aus denen wunderbare Praxismanagerinnen werden
könnten, suchen nach Weiterbildungen und Veränderungsmöglichkeiten und kehren den Zahnarztpraxen den Rücken.

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