Innerhalb der nächsten zehn Jahre gehen eine Million Menschen in Rente. In der
gleichen Zeit rücken laut dem Arbeitgeberverband nur 500 000 Erwerbstätige nach. Seit 2019 verlassen mehr Erwerbstätige den Arbeitsmarkt, als neue eintreten. Daniel Probst, Direktor der Solothurner Handelskammer SOHK, und Andreas Gasche, Geschäftsführer des Kantonal-Solothurnischen Gewerbeverbandes kgv, sind sich einig: Der Fachkräftemangel ist längst zu einem Arbeitskräftemangel geworden.
Der Arbeitskräftemangel hat sich
zu einer grossen Bedrohung für die
Schweizer Wirtschaft entwickelt.
Wie ernst ist die Lage im Kanton
Solothurn?
Daniel Probst: Im Kanton Solothurn wer-
den in den nächsten 20 Jahren knapp
82 000 Menschen ins Rentenalter kom-
men. Gleichzeitig rücken im gleichen Zeit-
raum nur rund 53 000 Menschen nach.
Alleine dadurch ergibt sich eine Lücke von
rund 29 000 Personen – dies bei einer
aktuellen Erwerbsbevölkerung von rund
170000 Personen. Gemäss dem neusten
Beschäftigungsbarometer des Bundes-
amts für Statistik finden bereits 41,3 Pro-
zent der Schweizer Arbeitgeber gelernte
Arbeitskräfte nicht oder nur sehr schwer.
Betroffen sind alle Branchen, mit 51,8 Pro-
zent der 2. Sektor und darunter der Ma-
schinenbau mit 77,1 Prozent am stärksten
überhaupt. Grundsätzlich gilt: Fehlen die
Arbeitskräfte, steigen die Kosten und Auf-
träge können nicht mehr ausgeführt wer-
den. Es stehen nichts weniger als die
Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit
unseres Wirtschaftsstandortes auf dem
Spiel. Die Lage ist ernst.
Andreas Gasche: Ich nehme die Lage
sehr ernst. Die Zahlen sprechen eine deut-
liche Sprache. Zudem ist die Situation im
Kanton Solothurn nicht grundlegend an-
ders als in anderen Kantonen. Wichtig
scheint mir auch, dass nicht nur gewisse
Branchen darunter leiden, dass sie zu we-
nig Fachkräfte haben. Es sind grundsätz-
lich fast alle Bereiche der Wirtschaft, die
klagen. Wir sind bereits heute in gewissen
gewerblichen Branchen damit konfron-
tiert, dass die Verkaufsgeschäfte oder die
Restaurants die Öffnungszeiten reduzie-
ren müssen, weil die notwendigen Fach-
kräfte fehlen.
Die demografische Entwicklung war
allerdings seit Jahren abzusehen.
Auch, dass die geburtenstarken Jahr-
gänge den Arbeitsmarkt verlassen
würden. Hat die Politik und die Wirt-
schaft etwas versäumt?
Daniel Probst: Aufgrund des absehbaren
Arbeitskräftemangels haben die Solothur-
ner Handelskammer und der Kantonal-
Solothurnische Gewerbeverband mit fi-
nanzieller Unterstützung des Bundes und
des Kantons Solothurn im Rahmen eines
NRP-Projektes vor über acht Jahren das
Programm «SO talentiert» lanciert. Ziel
des Programms war es, den Fachkräfte-
mangel zu bekämpfen und die Folgen des
demografischen Wandels abzufedern.
Entstanden sind daraus viele Aktivitäten
wie beispielsweise tunSolothurn, DeinBe-
ruf.ch, die SOHK Praxis-Akademie, der
Leitfaden Rekrutierung und Rent a Boss.
Während bei «SO talentiert» die Massnah-
men auf die Ausbildung, die Berufsfin-
dung und die Rekrutierung von Fachkräf-
ten zielte, gilt es nun die nächsten Stufen
zu zünden. Aufgrund der stetig steigen-
den Qualifikationsansprüche ist der Fokus
künftig auf gezielte Um- und Weiterschu-
lungen sowie auf die Aktivierung von
brachliegendem Inländerpotenzial, wie
zum Beispiel die Erhöhung der Erwerbstä-
tigkeit von Frauen, zu setzen.
Andreas Gasche: In Ergänzung zu den
Ausführungen von Kollega Probst ist viel-
leicht auch anzumerken, dass einige Bran-
chen und Betriebe viel zu lange geglaubt
haben, sie könnten die Lücke mit qualifi-
zierten ausländischen Arbeitnehmenden
füllen. Die zum Teil ebenfalls prekäre Ar-
beitsmarktsituation und steigende Löhne
in vielen westeuropäischen Herkunftslän-
dern führen dazu, dass diese Quelle mehr
und mehr versiegt. Die Lösung sind flexib-
lere Arbeitszeiten und attraktivere Wie-
dereinstiegsangebote für Frauen. Ältere
Arbeitnehmer sollen animiert werden,
Teilzeit weiterzuarbeiten.
Grosse Unternehmen haben den
Kampf um die Talente bereits vor
längerer Zeit erkannt und sind heu-
te mit ausgeklügelten Kandidaten-
Pipelines und Anreizsystemen für ih-
re Mitarbeitenden besser gewappnet.
Sind KMU stärker unter Druck?
Daniel Probst: Auf den ersten Blick schei-
nen KMU im Kampf um Talente tatsächlich
die schlechteren Karten zu haben. Anders
als die meisten Grossunternehmen haben
sie keine Stäbe und Supportfunktionen,
die mit einem professionellen Arbeitge-
bermarketing, interessanten Karriereaus-
sichten und attraktiven Wohlfühlpaketen
erfolgreich um die besten Arbeitskräfte
buhlen. Auf den zweiten Blick haben klei-
ne und mittlere Unternehmen Vorteile, die
nur sie anbieten können und die gerade
für neue Generationen sehr relevant sind.
Dazu gehören flache Hierarchien, sinnstif-
tende Tätigkeiten und eine familiäre At-
mosphäre.
Andreas Gasche: Tatsächlich sind KMU
in einigen Bereichen gegenüber Grossun-
ternehmen leicht benachteiligt. Es sind
dies unter anderem der Lohn, Lohnne-
benleistungen und die Arbeitszeiten. Die
Höhe des Lohnes ist aber gottlob nicht
alleine ausschlaggebend für die Wahl ei-
ner Arbeitsstelle. So ist in KMU eine grös-
sere Flexibilität möglich und die Arbeit im
Kleinteam wird gross geschrieben. Ein Ar-
beitnehmer kann in einem KMU mehr Ver-
antwortung übernehmen, hat mehr Ge-
staltungsfreiraum und am Abend sieht
man sehr oft, was man geleistet hat. Das
alles sind Gründe, die für eine Arbeit in
KMU sprechen. Nun gilt es für die KMU,
diese Vorzüge bei der Suche nach Arbeits-
kräften auch anzupreisen.
Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz
liegt laut Staatssekretariat für Wirt-
schaft SECO im September bei rekord-
tiefen 1,9 Prozent. Praktisch alle Bran-
chen klagen über Abwanderung von
Arbeitskräften und Personalmangel.
Welche Unterstützung können Sie als
Wirtschaftsverbände bieten?
Daniel Probst: Ein Schwerpunkt muss
wie gesagt bei der zielgerichteten Weiter-
bildung von Fachkräften gesetzt werden.
Denn leider trugen bisher weder die Auto-
matisierung noch die Digitalisierung zu ei-
ner Dämpfung der Arbeitskräftenachfrage
bei. Mit «SoTech Network» haben wir eine
neue Plattform lanciert, die Berufsleute
und Unternehmen zusammenbringt und
kompetenzorientierte, effiziente Tools für
Bildung, Jobs und Karriere im MINT-
Bereich zur Verfügung stellt. Zweitens
braucht unser Kanton dringend bessere
Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie, damit sich insbe-
sondere für gut ausgebildete Mütter der
Wiedereinstieg lohnt. Mit der Erhöhung
des kantonalen Steuerabzuges für Kinder-
drittbetreuung im Rahmen des Gegenvor-
schlags zur Initiative «Jetz si mir draa»
konnte ein erster Schritt gemacht wer-
den. Nun braucht es familienfreundlichere
Strukturen in Form von möglichst flächen-
deckenden, bedarfsorientierten und be-
zahlbaren Krippen und schulergänzenden
Betreuungsangeboten. Auf unserer ge-
meinsamen Plattform https://ffag.so.ch
finden unsere Mitglieder bereits heute
Ideen und Beispiele, wie sie sich als famili-
enfreundliche Arbeitgeber positionieren
können.
Andreas Gasche: Die Bemühungen be-
ginnen mit einer Lehrstelle. Mit einem
Ausbildungsplatz sichert man sich in vielen
gewerblichen Betrieben die Nachwuchs-
kräfte. Daneben spielen aber auch die
angesprochenen Bemühungen wie famili-
enfreundliche Arbeitgebende, verfüg- und
bezahlbare Kinderbetreuung und Aus-
und Weiterbildungsangebote in und mit
Hilfe von Betrieben eine grosse Rolle.
Zusammenfassend kann man sagen: Als
Wirtschaftsverbände setzen wir uns einer-
seits politisch für die Weiterentwicklung
dieser Angebote und die Stärkung der Be-
rufsbildung ein. Andererseits unterstützen
wir unsere Mitglieder, wo immer es geht,
sensibilisieren und informieren sie, damit
sie Probleme lösungsorientiert anpacken.
Nun kommt noch dazu, dass die Gene-
ration Z neue Arbeitsmodelle fordert
und damit die Arbeitgebenden vor
neue Aufgaben stellt. Wie glauben
Sie, können Unternehmen die Heraus-
forderungen meistern?
Daniel Probst: Ein knappes Angebot an
Arbeitskräften spielt den Arbeitnehmen-
den in die Hände. Wir sprechen heute von
einem Arbeitnehmermarkt, bei dem zu-
nehmend die Fachkräfte und nicht mehr
die Arbeitgebenden die Bedingungen dik-
tieren. Unseren Unternehmen bleibt nichts
anderes, als sich den neuen Herausforde-
rungen zu stellen und Lösungen anzubie-
ten. Nachhaltigkeit, Sinnhaftigkeit, Ge-
rechtigkeit und flache Hierarchien ge-
winnen an Bedeutung. Viele unserer Un-
ternehmen leben solche Werte, machen
sie aber noch nicht genug sichtbar. Die
gute Nachricht: Junge Talente wollen Ver-
antwortung übernehmen, Initiative zei-
gen und Wirkung erzielen. Dafür fordern
sie jedoch Freiraum sowie flexible Arbeits-
zeiten, Homeoffice und eine strikte Tren-
nung von Freizeit und Arbeit.
Andreas Gasche: Die kleinräumige Struk-
tur von gewerblichen KMU und Dienstleis-
tungsunternehmen kommt den Berufsvor-
stellungen der Generation Z sicherlich
entgegen. Allerdings muss gerade das
handwerkliche Gewerbe aufpassen, dass
es auf die Bedürfnisse der Generation Z
auch wirklich eingeht. Für viele handwerk-
liche KMU ist die Forderung nach neuen
Arbeitsmodellen noch eine Herausforde-
rung. Hier sind neue Ideen gefragt – und
auch ein bisschen Mut, Neues auszupro-
bieren. Im Gegenzug werden mit den fla-
chen Hierarchien in den KMU die Arbeit-
nehmenden schon heute ernst genommen
und in die Lösungsfindung miteinbezogen.
Gemäss einer Axa-Studie sieht sich
ein Drittel der KMU auf dem Arbeits-
markt durch Grossunternehmen kon-
kurrenziert. In vielen KMU kümmert
sich die Chefin nebenher um die Re-
krutierung. Dass sie nicht mit den
HR-Abteilungen von Google, Face-
book & Co. mithalten kann, versteht
sich von alleine.
Andreas Gasche: Es fühlen sich nicht alle
Arbeitnehmenden wohl in grossen Betrie-
ben. Im KMU spielt das Familiäre eine
wichtige Rolle. Die Arbeitnehmenden kön-
nen sich einbringen. Die Wege sind kurz
und der Arbeitnehmende als Fachmann
wird ernst genommen. Diese Vorzüge gilt
es auf dem Arbeitsmarkt auszuspielen.
Employer Branding ist ein grosses
Thema. Ist diese Arbeitgeber-Mar-
kenbildung auch für das Gewerbe
zugänglich?
Andreas Gasche: Das Arbeitsmarktum-
feld verschärft sich zusehends, deshalb
sind gerade KMU im Wettbewerb um
Fachkräfte gefordert. Im Vorteil sind die
Unternehmen und Betriebe, die über eine
attraktive und differenzierende Arbeit-
gebermarke verfügen. Darum benötigen
auch KMU mehr denn je ein klares Profil,
um sich auf dem Arbeitsmarkt zu positio-
nieren und Fachkräfte zu rekrutieren. Die
KMU verfügen über klare Vorzüge gegen-
über grossen Unternehmen. Diese gilt es
selbstbewusst anzupreisen.
Der kgv hat seinen Herbstanlass dem
Arbeitskräftemangel gewidmet und
mit informativen Referaten über-
zeugt. Andreas Gasche, wie hat Ihr
Publikum auf den gut besuchten An-
lass reagiert?
Andreas Gasche: Die Reaktionen waren
durchwegs positiv. Vor allem die gewerb-
liche Vertreterin, welche aufgezeigt hat,
wie sie neue Arbeitsmodelle umgesetzt
hat und dann aber auch dazu gestanden
ist, dass sie Korrekturen vornehmen muss-
te, hat viel Sympathien genossen. Das war
sicherlich auch der Tatsache geschuldet,
dass sie nicht aufgeben will und weiterhin
versucht, attraktiver zu sein als ihre Mitbe-
werbenden. Der Vortrag zur Generation Z
hat sicherlich die einen oder anderen An-
wesenden zum Nachdenken gebracht.
Wie bereits erwähnt, es braucht den Mut,
neue Arbeitsmodelle auszuprobieren.
Gleichzeitig hat die Referentin betont,
dass die Charakteristiken einer Generation
nicht für alle jungen Leute gelten; es sind
Tendenzen.
Daniel Probst, wie ist die Stimmung
bezüglich Arbeitskräfte bei den SOHK-
Mitgliedern?
Daniel Probst: In unserem im Mai 2022
erstmals ausgewerteten Sorgenbarometer
der Solothurner Unternehmen bereitet das
Fehlen von Fachkräften grosse Sorgen. Der
Fachkräftemangel wird nach den steigen-
den Energie- und Rohstoffpreisen und den
gestörten Lieferketten als drittgrösste Sor-
ge genannt. Die Knappheit führt teilweise
dazu, dass Aufträge nicht mehr termin-
gerecht ausgeführt werden können, oder
dass Unternehmen Aufträge gar ausschla-
gen müssen. Mittel- und langfristig wird
der Fachkräftemangel zur grössten Her-
ausforderung unserer Unternehmen, da-
von bin ich überzeugt. Hätten wir die bi-
lateralen Verträge mit der EU und damit
die Personenfreizügigkeit nicht, wäre die
Situation noch dramatischer. Aus die-
sem Grund kann ich nicht verstehen, wie
man sich gegen die Zuwanderung weh-
ren kann. Sie ist unser Glück! Als klassi-
sches Einwanderungsland können wir froh
sein, dass überhaupt noch arbeitswillige
Menschen zu uns kommen wollen. Es gibt
auch Regionen in Europa, die entvölkert
werden.
Dem Fachkräftemangel wird mit einer
neuen, smarten Initiative entgegen-
gewirkt: «SoTech Network» will den
Wirtschaftsraum Solothurn stärken.
Wie hat sich die Plattform etabliert?
Daniel Probst: Wir haben die Plattform
zusammen mit der Standortförderung
espaceSolothurn, sovision und Partnern
und Supportern aus der Wirtschaft kurz
vor den Sommerferien erfolgreich lanciert.
Nun geht es in einem nächsten Schritt da-
rum, die Plattform bei den Arbeitskräften
bekannt zu machen. Ziel ist es, dass sich
möglichst viele Menschen, Unternehmen
und Bildungsinstitutionen auf der Platt-
form registrieren. «SoTech Network» soll
zur zentralen MINT-Plattform im Wirt-
schaftsraum Solothurn werden. Das Herz-
stück des Angebots ist ein digitaler Lauf-
bahnberater. Er hilft Personen, in einem
eigens angelegten Profil ihre Fähigkeiten
zu erfassen, zu verwalten und weiterzu-
entwickeln. Eine MINT-Jobbörse vereint
die in der Region offenen MINT-Stellen.
Sie richtet sich an Stellensuchende und
Personen, die an einem Stellenwechsel in-
teressiert sind. Die MINT-Weiterbildungs-
börse schliesslich bietet eine tagesaktuelle
Übersicht aller Weiterbildungen der be-
treffenden Bereiche in der Wirtschafts-
region Solothurn.
Trotz dem Arbeitskräftemangel gibt
jedes zehnte KMU in einer aktuellen
Befragung der Versicherung Axa
an, keine Mitarbeitenden nach dem
45. Geburtstag anzustellen. Wird sich
das nun ändern?
Daniel Probst: Die Bedeutung von älte-
ren Arbeitskräften wird in Zukunft steigen.
Aufgrund längerer Ausbildungszeiten hat
die durchschnittliche Lebensarbeitszeit ab-
genommen. Die Wirtschaft kann es sich
gar nicht leisten, nicht an die älteren Ar-
beitnehmenden zu denken. Der älteren
Erwerbsbevölkerung kommt mit dem Ar-
beitskräftemangel eine immer grössere
Bedeutung zu. Ein wichtiger Schritt dazu
war die Flexibilisierung des Pensionsalters
mit Annahme der AHV 21 am 25. Septem-
ber 2022.
Andreas Gasche: Ich bin überzeugt, dass
sich diese Haltung ändern wird. Die KMU-
Welt kann nicht auf der einen Seite über
fehlende Fachkräfte jammern und auf der
anderen Seite die erfahrensten Fachkräfte
einfach in die Pension schicken.
Wer heute mit 60 in die Langzeitar-
beitslosigkeit fällt und ausgesteuert
wird, erhält in der Schweiz eine Über-
brückungsrente. Liegt hier eventuell
Potenzial, diese Menschen besser in
Unternehmen zu integrieren?
Daniel Probst: Diesbezüglich bin ich
skeptisch. Gut gemeint ist nicht immer gut
gemacht. Im internationalen Vergleich ist
in der Schweiz die Erwerbsquote der 55-
bis 64-Jährigen mit 75,8 Prozent hoch.
Zwischen 2011 und 2021 stieg die Er-
werbsbeteiligung in dieser Altersklasse
sogar am stärksten an (+5,9 Prozentpunk-
te auf 75,8%). Verschiedene Untersu-
chungen zeigen, dass eine verlängerte
Bezugsdauer von Arbeitslosengeldern für
Ältere eine längere Dauer der Arbeitslo-
sigkeit nach sich zieht. Die Unternehmen
müssen sich Gedanken machen, wie sie
ältere Arbeitnehmende bis zum Erreichen
des Pensionierungsalters oder darüber hi-
naus motiviert und leistungsfähig halten
können. Bogenkarrieren müssen enttabui-
siert und als mögliche Karrieremodelle er-
kannt werden. Ältere müssen ein selbst-
verständlicher Teil der Unternehmenskultur
werden.
Andreas Gasche: Ich teile die Meinung
meines Kollegen Daniel Probst voll und
ganz. Ich würde vor allem die Aussage
betonen, dass «ältere Arbeitnehmende
ein selbstverständlicher Teil der Unterneh-
menskultur sein werden.»
Und auch die Nebenjobs der Studie-
renden sind auf Eis gelegt. Seit der
Einführung der Bologna-Reform vor
rund 20 Jahren verbringen sie mehr
Zeit an der Uni: Pflichtvorlesungen
und Prüfungskadenz haben zugenom-
men. Gründe, warum es zum Arbeits-
kräftemangel geführt hat, gibt es zu-
hauf. Lösungen nicht. Wird der Kampf
um junge Mitarbeitende unerbittlich?
Daniel Probst: Dafür werden Studienab-
gänger immer jünger und können früher
in den Arbeitsprozess einsteigen. Wäh-
rend es in meiner Generation normal war,
im Alter von 25 Jahren noch immer zu
studieren, haben unsere Kinder die Chan-
ce, ihr Masterstudium mit knapp über
20 Jahren abzuschliessen. Mit unserem
dualen Berufsbildungssystem haben wir
jedoch als Schweiz einen besonderen
Standortvorteil, zu dem wir Sorge tragen
müssen. Dank unserem ausdifferenzierten
Berufsbildungssystem wird die Mehrheit
der jungen Menschen schon früh in die
Arbeits- und Erwachsenenwelt eingeführt.
Dort wo sich schulische Theorie und Praxis
begegnen, entsteht Innovation und Unter-
nehmertum. Wenn wir jungen Menschen
die Chance geben, ihre Fähigkeiten im Be-
trieb einzubringen und ihre Talente gezielt
zu fördern, werden sie uns dies mit hohem
Engagement und Loyalität danken. Der
Kampf um junge Talente ist hart, aber
nicht aussichtslos.
Andreas Gasche: Zum einen ist dieses
Phänomen sicherlich auch ein Wohlstands-
phänomen. Für viele Studierende ist es
gar nicht mehr notwendig, Geld zu verdie-
nen. Ein Ferienjob oder Praktikum gäbe
auch Einblick in die aktive Berufswelt. Auf
der anderen Seite stimmt es, dass die Stu-
diengänge strenger reguliert sind. Für eine
Teilzeitarbeit bleibt neben dem Studium
kaum Zeit. Die Durchlässigkeit in unserem
Berufsbildungssystem ist ein Standortvor-
teil. Eine junge Berufsperson kann nach
der Grundausbildung eine Karriere im Be-
ruf anpacken oder mit den notwendigen
Zusatzkursen sogar einen Universitätsab-
schluss erarbeiten. Das Ausland beneidet
uns um diese Möglichkeiten. Es gilt, diesen
Standortvorteil noch lange zu wahren. <